Bulletin Juli 2023
Wann seid Ihr beide in die SEEBURG eingetreten?
Jannik: Ich hatte bereits eine IT-Ausbildung in einer Institution im Seeland begonnen, musste sie aber abbrechen. Meine IV-Eingliederungsfachperson hat mir dann verschiedene Alternativen aufgezeigt, u. a. die SEEBURG. Das war im Frühsommer 2019. Alles ging plötzlich schnell. Nach einem positiv verlaufenen Praktikum startete ich im August meine neue Ausbildung. Gleichzeitig trat ich in den Wohnbereich LANDHUUS in Wilderswil ein.
Matthias: Ich war 20 und hatte einen Klinikaufenthalt hinter mir, als ich für ein Aufbautraining in die Stiftung Helsenberg in Meiringen eintrat. Ich wurde als Allrounder hauptsächlich mit Gartenarbeiten beschäftigt. Das Pensum von anfänglich 2 Stunden pro Tag wurde laufend gesteigert und ich habe mich wieder stabilisiert. Damals wurde ich vom Sozialdienst betreut und die Frage nach dem «wie weiter» stand im Raum. Auf ihren Rat hin schnupperte ich in der SEEBURG, zuerst in der Schreinerei und dann auch in der IT, wo es mir sehr gut gefallen hat. Verschiedene Tests – u. a. auch ein IQ Test – zeigten ein grosses Potential auf, u. a. auch für die Ausbildung als Informatiker. Als Quereinsteiger hatte ich keine Ahnung von IT. Es war also fast ein wenig Zufall… und natürlich hatte ich auch ein längeres Praktikum absolviert.
Ihr habt beide gleichzeitig begonnen und nun auch zusammen abgeschlossen.
Wir sind – jeder für den anderen – ein grosser Glücksfall. Wir haben uns immer gegenseitig unterstützt, vor allem beim Lernen. Wir haben die ganzen vier Jahre lang ausnahmslos zusammen und immer an den Wochenenden gelernt.
Wenn Ihr auf die vier Jahre Ausbildung zurückblickt, was waren die grössten Schwierigkeiten? Gab es besondere, wegweisende Situationen?
Matthias: Disziplin war sehr wichtig. Es ist nicht zu unterschätzen, dass man plötzlich fünf Tage die Woche früh morgens aufstehen und an den Wochenenden noch lernen muss. Aber durch diese Disziplin ist keiner von uns in ein Loch gefallen. Der Niveauanstieg vom ersten ins zweite Ausbildungsjahr war am happigsten. Das stressigste Jahr hingegen war definitiv das vierte Jahr. Zu allen anderen Aufgaben kamen die Abschlussarbeiten wie z. B. die individuelle Praktische Arbeit (IPA) dazu, oder dann in der Schlussphase die Bewerbungen für eine Anschlusslösung nach der SEEBURG, die Wohnungssuche usw.
Jannik: Für mich war das zweite Semester im ersten Jahr das Schwierigste und eine sehr negative Erfahrung. Corona hat alles überschattet und wir befanden uns im «Homeoffice» im Wohnbereich. Da ich einmal übers Wochenende nach Hause ging, durfte ich nicht mehr zurückkommen. Das waren die damaligen Regeln während der Pandemie. Im Sommer 2020 hat sich dieses Regime zum Glück wieder gelockert.
Wie habt Ihr die Lernwerkstätten genutzt?
Beide: Wir haben mit unserem Ausbildungsverantwortlichen viel über die Schule gesprochen. Was aktuell so läuft, welche Schwierigkeiten es gibt, wie es uns geht, und was in nächster Zeit ansteht. So sind wir auch auf Mankos gestossen, wie zum Beispiel das
Thema Programmieren. Wir taten uns beide schwer damit. Ein ehemaliger Oberstift von uns war wirklich stark im Programmieren, und er hat uns dann während der Arbeitszeit Nachhilfe gegeben. Das hat uns im ersten Ausbildungsjahr sehr geholfen.
Was waren die wichtigsten Meilensteine oder Highlights während Eurer Zeit in der SEEBURG?
Jannik: Die gut bewertete IPA war das Highlight, weil daraus eine wichtige Fallnote resultierte. Man arbeitet 12 Arbeitstage voll an der IPA. Das Schlussgespräch mit den Experten verlief positiv. Und obwohl sie es offiziell nicht verraten durften, konnte ich es ihnen ansehen, dass ich eine gute Arbeit abgeliefert hatte…. Das war ein geniales Gefühl. Ein grosses Highlight war – trotz Corona – der Abschluss vom ersten Ausbildungsjahr… im Seeland scheiterte ich noch wegen meiner vielen Absenzen. Ich hatte es geschafft! Und auf das dritte Jahr bin ich besonders stolz, weil ich praktisch nie mehr fehlte.
Matthias: Mein grösstes Highlight war das erste Semester, weil ich merkte, dass ich es wirklich kann. Ich hatte einen Notendurchschnitt von einer 5, und auch im Betrieb lief es gut. Das Ende vom dritten Ausbildungsjahr war auch genial, weil dann bereits 32
von 34 Ausbildungsmodulen abgeschlossen waren. Dieser Umstand ist in der IT-Welt speziell. Durch die Schnelllebigkeit wird jedes Modul semesterweise abgeschlossen.
Wie wichtig war Euch die Betreuung ausserhalb des Arbeitsbereichs?
Matthias: Der Wohnbereich mit Betreuung ist sehr wichtig. In einer Krisensituation (z. B. während der Arbeit) geht doch jeder Mensch am liebsten nach Hause! In normalen Lebensumständen wäre das Zuhause bei den Eltern. In meinem Fall haben Bezugspersonen im Wohnbereich diese Rolle übernommen. Entsprechend wichtig waren sie für mich. Für mich war zudem mein Psychiater sehr wichtig. Mir fällt immer ein dreiblättriges Kleeblatt ein. Neben Arbeits- und Wohnbereich war mein Psychiater für mich das dritte Blatt.
Jannik: Ich bin nicht auf Medikamente angewiesen und habe daher einen Psychologen, den ich immer weniger beanspruchen musste. Aber die Betreuung im Wohnbereich war für mich genauso wichtig.
Ihr habt praktisch alle Wohn- und Betreuungsstufen durchgemacht. Die neue IV-Revision hat einen grossen Einfluss auf die Wohnbetreuung. Was geht Euch durch den Kopf?
Mathias: Ich bin froh, dass mich diese Veränderungen nur noch am Rande betrafen. Seit einem Jahr werden z. B. alle aufgefordert, am Wochenende den Wohnbereich zu verlassen und nach Hause zu gehen. Das wäre für mich äusserst kontraproduktiv gewesen. Ich hätte mich nicht von zu Hause loskoppeln können und wäre nicht selbständig geworden. Zu Hause gibt es unzählige Situationen, die mich getriggert und meine Entwicklung gehemmt hätten.
Jannik: Das ist leider wirklich ein Problem für viele. Zu Hause ist die Gefahr gross, in alte Muster zu fallen. Das hat nichts damit zu tun, dass ich meine Eltern nicht gerne habe. Fakt ist aber doch, dass es Gründe gibt, warum wir in einer Institution wie der SEEBURG gelandet sind.
Beide: Die stark reduzierte Betreuungszeit in unserem letzten Jahr war für uns eher von Vorteil. Wir waren am Punkt, an dem wir noch selbständiger wohnen konnten. In unserem direkten Umfeld haben die Veränderungen aber schon ihre Spuren hinterlassen.
Hätten wir beide noch mehr Betreuung gebraucht, hätten wir jedenfalls unter den Veränderungen stark gelitten. Wir fragen uns, wohin das führen soll.
Was sind Eure Pläne für die Zukunft? Wie geht es nun weiter?
Matthias: Ich will nochmals etwas Neues ausprobieren. Ich absolviere ein einjähriges Praktikum in der Nathalie-Stiftung in Gümligen (heilpädagogischer Bereich). Danach will ich das dreijährige Sozialpädagogik-Studium aufnehmen. Voraussetzungen sind ein EFZ-Abschluss, ein mind. 6-monatiges Praktikum und das Bestehen der Aufnahmeprüfung.
Jannik: Ich habe mich für eine Anstellung im Grossraum Bern beworben und viele Grosskonzerne angeschrieben und auch Angebote erhalten. Gleichzeitig wurde in der SEEBURG eine Stelle in der IT frei und ich wurde ermuntert, mich auf diese Stelle zu bewerben. Die Wahl ist schliesslich auf mich gefallen und ich habe die Herausforderung gerne angenommen. Zudem freue ich mich, dass ich mit Matthias zusammen in einer WG in Bern wohnen werde.